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Titel
Wege der Integration. Das Papsttum und die lateinische Kirche Apuliens in normannischer Zeit (1059–1189)


Autor(en)
Alraum, Claudia
Reihe
Historische Forschungen
Erschienen
Stuttgart 2022: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Becker, Akademieprojekt "Die Formierung Europas durch Überwindung der Spaltung im 12. Jahrhundert", Historisches Seminar, Universität Würzburg

Bei der hier zu besprechenden Studie handelt es sich um die für den Druck überarbeitete Dissertation, die Claudia Alraum im Wintersemester 2014/2015 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg eingereicht hat und deren Entstehung im von der VolkswagenStiftung geförderten Forschungsprojekt „Päpstlich geprägte Integrationsprozesse in Ost- und Westeuropa (11.-13. Jahrhundert) – Universale Einheit oder vereinheitlichte Vielfalt?“ zu verorten ist. Darin untersucht die Verfasserin die Beziehungen zwischen dem Papsttum und der lateinischen Kirche Apuliens in normannischer Zeit (1059–1189) unter der Fragestellung, inwieweit periphere Regionen Europas durch den universellen Primatsanspruch der römischen Kirche geprägt und inwiefern hier gezielt Integrationsprozesse angestoßen wurden. Alraum greift damit eine bereits seit längerem etablierte Forschungsdebatte über den universalen Führungsanspruch des Reformpapsttums und der konkreten Durchsetzung dieser Ansprüche in der Interaktion mit „Grenz“- bzw. „Rand“-Regionen Europas auf.1

Basierend auf Studien von Norbert Kamp2 konzentriert sich die Verfasserin in ihrer Untersuchung des Integrationsprozesses auf drei Aspekte: erstens auf die Entwicklung der Schriftlichkeit und der päpstlichen Urkundenproduktion; zweitens auf die persönliche Kommunikation und päpstliche Präsenz vor Ort in Form von Papstreisen, Verleihung von Pallien und Einzelereignissen; drittens auf die römische Jurisdiktion, wobei die delegierte Gerichtsbarkeit und päpstliche Legationen in Apulien analysiert werden.

Allerdings schließt die Studie nicht ganz Apulien in den Untersuchungskontext ein, sondern beschränkt sich auf den stärker lateinisch geprägten Raum um die Kirchenprovinzen Bari, Trani und Brindisi sowie das exemte Bistum Monopoli. Ausgenommen bleiben die Capitanata und der südliche Teil Apuliens, die noch immer unter byzantinischem Einfluss standen. Diese Auswahl ist auch der Quellengrundlage geschuldet, denn die Autorin bezieht sich hauptsächlich auf die von Walther Holtzmann im neunten Band der Italia Pontificia (1962) zusammengetragenen Urkunden. Im ersten Teil „Schriftlichkeit: Apulien als Empfängerlandschaft“ (S. 31–45) untersucht Alraum die päpstlichen Urkunden, die nach der Anerkennung der normannischen Herrschaft 1059 bis ins ausgehende 12. Jahrhundert für apulische Empfänger ausgestellt wurden. Hierbei weist die Verfasserin auf eine Intensivierung der päpstlichen Beziehungen seit Papst Nikolaus II. hin, die erstmals unter den Reformpäpsten Urban II. und Paschalis II. kumuliert. Das Schisma von 1130 führt dann zunächst zu einem Interaktionsbruch zwischen den apulischen Empfängern und den römischen Bischöfen, der sich erst wieder mit dem Pontifikat Alexanders III. auflöst. Den großen Anstieg von Urkunden, die von Alexander III. für die apulischen Bistümer und Kirchen ausgestellt wurden, interpretiert Alraum als den höchsten Grad der Integration der apulischen Peripherie in das römische Zentrum während ihres Untersuchungszeitraums. Hier wäre sicherlich stärker der Kontext seines Pontifikats sowie seine geradezu rastlose Urkundentätigkeit gegenüber seinen Konkurrenten um das Papstamt zu berücksichtigen gewesen.

Der zweite Teil der Studie „Präsenz und Bindung“ (S. 47–137) rückt die persönlichen Treffen zwischen den Päpsten und apulischen Prälaten ins Zentrum der Untersuchung. Zwar waren die päpstlichen Aufenthalte in Süditalien und Apulien nicht immer freiwilliger Natur, sondern oft durch „politische Notlagen“ (S. 86) erzwungen, doch dienten sie durch das Abhalten von Konzilien, Bischofs- oder Kirchweihen der päpstlichen Durchdringung dieser Region und führten letztendlich zur Zentralisierung und Romanisierung der apulischen Kirche. Noch gewinnbringender wäre es allerdings gewesen, wenn Alraum die päpstlichen Aufenthalte in Apulien in den Kontext der süditalienischen Politik der jeweiligen Päpste eingebunden hätte.

Interessante Aspekte liefert die Untersuchung zu den Verleihungen der Pallien und der entsprechenden Pallienprivilegien an die Erzbischöfe von Trani, Bari und Brindisi. Die apulischen Erzbischöfe akzeptierten die strengen Vergabeauflagen und sahen das Pallium als Legitimationsobjekt an, das ihnen symbolische Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Autorität vor Ort bot. Bezüglich der apulischen Metropolitanverfassung kann Alraum die grundlegenden Studien von Erich Caspar und Alessandro Pratesi über die Pallien um neue Erkenntnisse ergänzen.3

Im dritten Teil „Jurisdiktion“ (S. 139–167) untersucht die Autorin schließlich den Einfluss der Ausübung der päpstlichen Gerichtsbarkeit auf die Homogenisierung und Integration der Kirchenlandschaft Apuliens. Dabei betont Alraum, dass die Ausübung der päpstlichen Gerichtsbarkeit im Vergleich zu anderen Regionen Westeuropas sehr spät, nämlich erstmals unter dem Pontifikat Alexanders III., nachzuweisen ist. Auch ist die Zahl der überlieferten Rechtsfälle erstaunlich gering. Diese Sonderentwicklung ist sicherlich als eine Konsequenz der starken Stellung der normannischen Herrscher in kirchlichen Angelegenheiten, die noch auf die Verleihung der apostolischen Legation durch Urban II. an Graf Roger I. (nicht „Herzog“, S. 63) im Jahr 1098 zurückzuführen ist, zu verstehen.

Der Studie angehängt sind Verzeichnisse über die schriftlich belegten päpstlich-apulischen Kontakte sowie über das Schriftgut zur päpstlichen und delegierten Gerichtsbarkeit im Untersuchungszeitraum (1059–1189). Kartenmaterial zu den Metropolitansitzen und Suffraganbistümern, ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein (nicht fehlerfreies) Personen- und Ortsregister ergänzen diesen Band.

Insgesamt hat die Autorin mit dieser Untersuchung eine innovative Fallstudie über eine bisher vernachlässigte Region Italiens vorgelegt, die nicht nur eine sehr interessante Bestandsaufnahme der päpstlichen Integrationsmaßnahmen liefert, sondern auch deren lokale Akzeptanz beleuchtet. Wünschenswert wäre eine intensivere Einordnung der apulischen Verhältnisse in den Gesamtkontext der päpstlichen Süditalienpolitik sowie eine geographische Ausweitung des Untersuchungsgebietes gewesen. Spannende Erkenntnisse zu den im 12. Jahrhundert hoch aktuellen Kontroversen zwischen Ost- und Westkirche, die genau in dieser Region ausgetragen wurden, hätte eine inhaltliche Auswertung der im ersten Teil zitierten päpstlichen Urkunden liefern können, wahrscheinlich hätte dies aber den Rahmen dieser detailreichen Studie gesprengt.

Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu die im Rahmen des DFG-Netzwerks „Zentrum und Peripherie? Das universale Papsttum und die europäischen Regionen im Hochmittelalter (Laufzeit 2007-2010)“ unter Leitung von Harald Müller (Aachen) und Jochen Johrendt (Wuppertal) entstandenen Publikationen: https://www.geschichte.uni-wuppertal.de/de/forschung/forschungsprojekte/mittelalterliche-geschichte/zentrum-und-peripherie-das-universale-papsttum-und-die-europaeischen-regionen-im-hochmittelalter-dfg-netzwerk-laufzeit-2007-2010/ (04.07.2023).
2 Norbert Kamp, Der unteritalienische Episkopat im Spannungsfeld zwischen monarchischer Kontrolle und römischer „libertas“ von der Reichsgründung Rogers II. bis zum Konkordat von Benevent, in: Società, potere e popolo nell’età di Ruggero II, Atti delle terze giornate normanno-sveve, Bari, 23-25 maggio 1977 (Centro di Studi Normanno-Svevi, Bari: Atti 3), Bari 1979, S. 99–132.
3 Erich Caspar, Kritische Studien zu den älteren Papsturkunden, in: Koenigl. Preussisches Historisches Institut in Rom (Hrsg.), Quellen und Forschungen aus den italienischen Archiven und Bibliotheken 6 (1904), S. 235–271; Alessandro Pratesi, Alcune diocesi di Puglia nell’età di Roberto il Guiscardo: Trani, Bari e Canosa tra Greci e Normanni, in: Roberto il Guiscardo e il suo tempo, Atti delle prime giornate normanno-sveve, Bari, 28-29 maggio 1973 (Centro di Studi Normanno-Svevi, Bari: Atti 1), Bari 1975, S. 225–242.